Die Wiege, Berthe Morisot

Obwohl das impressionistische Talent von Berthe Morisot spät erkannt wurde, wurde es dennoch schon früh von Seiten der Kunstkritik gelobt. „Nichts ist wahrhaftiger und zugleich zärtlicher als diese Mutter, die sich über eine Wiege beugt, in der ein einschlafendes Kind mit zartrosa Wangen durch den blass schimmernden Mousseline sichtbar wird“, so schreibt der Kritiker Jean Prouvaire über „Le Berceau“. Dieses Gemälde, das das berühmteste der Künstlerin ist, wird 1874 im „Salon des Refusés“ ausgestellt, wo die 1. impressionistische Ausstellung stattfindet. Berthe Morisot ist die einzige Frau, die mit der avantgardistischen Künstlergruppe ausstellt.

Der Inhalt ihrer Bilder ist die Darstellung der Mutter-Kind-Beziehung, die noch oft als Motiv vorkommt. In „Le Berceau“ sehen wir Edma, die Schwester von Berthe und deren Tochter Blanche in einer Szene, die Ruhe, Sanftmut und Anmut ausstrahlt. In der Geborgenheit der Wiege ist Blanche umsorgt von dem Blick ihrer Mutter und beschützt durch den zarten Schleier der Wiege, der behutsam mit der rechten Hand von Edma beiseitegezogen wird. Vorhang und Schleier der Wiege verbreiten ein milchiges Weiß, was die anheimelnde Intimität dieses Anblicks betont – in einem Spiel von Hin und Her. Berthe zeigt auf dem durchsichtigen Mousseline mit kleinen, weichen Pinselstrichen die unterschiedlichen Lichteffekte. Sie malt die Vorhänge in Grautönen mit einem bläulichen Schimmer. Der Schleier der Wiege dagegen ist durchzogen von subtilem Weiß und mit kleinen rosa Tupfen versehen. Sanfte Töne stehen als Symbole für Reinheit und Unschuld.

Im 19. Jhdt ist die Darstellung der Mutterschaft sehr „en vogue“. Gewisse Künstler gefallen sich darin, Gefühle von Zärtlichkeit und Sinnlichkeit auszulösen. „Le Berceau“ entfernt sich von den Bildern von Epinal: Stille und Gelassenheit erfüllen das Zimmer. Die Malerin stoppt den Lauf der Zeit und zieht den Betrachter in den Bann von Edma: ein von Liebe und Keuschheit erfüllter Blick. Den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtet sie nachdenklich dieses zerbrechliche Wesen am Beginn seines Lebens, wodurch eine Tiefe in der Darstellung sichtbar wird. Welch geheime Beunruhigung hat sich des liebenden Herzens bemächtigt? Um eine Definition zu ihrer Malerei zu geben, sagt Berthe Morisot, dass sie sich darauf beschränke, etwas das vorbeizieht, festzuhalten. Die Mutterschaft hat ihre Freuden und  versteckten Sorgen, die für einen kurzen Augenblick erkennbar werden und wieder vorübergehen…

Aus dem Französischen von Ingeborg Potz

 

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