Gargantua, Honoré Daumier

Im August 1932 wird der Karikaturist Honoré Daumier ins Gefängnis geworfen. Er muss dort sechs Monate absitzen und außerdem 500 Francs Strafe zahlen. Das Regime von König Louis Philippe (1830 – 1848) wirft ihm vor, eine Serie von Karikaturen gegen den Souverän hergestellt zu haben. Die Lithographie Gargantua ist eine davon. Diese Zeichnung war am 16. Dezember 1831 in der Zeitung der republikanischen Opposition, La Caricature, erschienen. Was ist darauf zu sehen ?

Der Monarch sitzt auf seinem Thron, mit weit aufgerissenem Mund, von dem ein breites, leiterähnliches Holzbrett, zum Boden führt. Auf diesem schleppen Diener Butten von Geld hinauf und schütten es direkt in den Mund des Souveräns. Es ist Geld, das sie von der Menge bescheidener, bitter enttäuschter Menschen, unten rechts im Bild, eingetrieben haben. Eine andere Gruppe von Menschen, links im Bild, bei weitem besser genährt und gekleidet, schart sich um den Stuhl des Königs, unter dem sich ein Haufen von bedrucktem Papier türmt. Was könnte diese Inszenierung bedeuten ?

Im Jahr 1831 setzen sich die Ideale der französischen Revolution langsam und mit viel Mühe in der französischen Gesellschaft durch und lösen dabei politische und soziale Revolten aus. Der bürgerliche König stößt seit seiner Thronfolge im Jahr 1830 immer wieder mit der republikanischen Presse zusammen, deren Mitbegründer Daumier war. Mit dieser Zeichnung kritisiert der Karikaturist die Ungerechtigkeit eines fiskalen Systems, von dem vor allem angesehene Persönlichkeiten der politischen und sozialen Oberschicht profitieren.

Das gemeine Volk wird durch eine Gruppe von Arbeitern und Handwerkern unten rechts im Bild repräsentiert. Die Butten voller Gold, die vom König verschlungen werden, machen auf die die vom Volk eingehobenen Steuern aufmerksam. Der Monarch sitzt auf seinem durchlöcherten „Thron“ und entleert seinen Darm in Form von Pergament, jeglichem Schmuck und sämtlichen Titeln, mit denen er die Untertanen, die sich unten links im Bild befinden, besticht. Manche von ihnen zeigen den „Fäkalien“ ihres Wohltäters gegenüber tiefe Bewunderung. Sind sie belohnt, ziehen die Gleichgesinnten gemeinsam, wie eine Herde von Rindern, in Richtung Palais Bourbon, dem Sitz des Parlaments.

Daumier stellt die arbeitenden, „nützlichen“ Leute in Opposition zu den „ehrwürdigen“ Persönlichkeiten, die sich in der Nähe der Machtzirkel aufhalten. Letztere sind die „neuen Müßiggänger“, die mit den pensionierten Adeligen des Ancien Régime verwandt sind. Gargantua soll natürlich Louis-Philippe darstellen. Mit seinem aufgedunsenen Gesicht und seinem dicken Wanst inkarniert er die berühmte Figur von Rabelais: einen fettleibigen, gefräßigen Riesen mit maßlosem, unstillbarem Hunger.

Die skatologische Karikatur war natürlich ein ernstgemeinter Angriff auf die Person des Königs, dessen Gesicht, wie man gut erkennen kann, wie eine Birne aussieht. Mit dieser grotesken Physiognomie wird der König noch lange assoziiert werden und auch wenn Gargantua dem größten französischen Karikaturisten des 19. Jahrhunderts einen Aufenthalt im Gefängnis beschert hat, beginnt mit genau dieser Karikatur seine langjährige Bekanntheit.

Aus dem Französischen von Anita Klinglmair

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